Die Weisen des Umgreifenden

„Das Umgreifende ist entweder das Sein an sich, von dem wir umfangen sind, oder es ist das Sein, das wir sind.

Das Sein, das uns umfängt, heißt Welt und Transzendenz. Das Sein, das wir sind, heißt Dasein, Bewußtsein überhaupt, Geist, heißt Existenz.

a) Das Sein, das uns umfängt. – Dieses Sein, das ist, auch ohne daß wir es sind, und das uns umfängt, ohne daß wir es sind, ist zweifacher Art: – es ist die Welt, das ist: das Sein, von dem eine Seite unseres Wesens doch ein winziger Teil ist, wenn die Welt im Ganzen als Nichtwirsein uns umgreift; – es ist die Transzendenz, das ist: das Sein, das das uns schlechthin Andere ist, an dem wir keinen Teil haben, aber in dem wir gegründet sind, und auf das wir uns beziehen.

aa) Welt: Die Welt im Ganzen ist kein Gegenstand, sondern eine Idee. Was wir erkennen, ist in der Welt, ist nie die Welt.

bb) Transzendenz: Transzendenz ist das Sein, das niemals Welt wird, aber das durch das Sein in der Welt gleichsam spricht. Transzendenz ist nur dann, wenn die Welt nicht aus sich besteht, nicht in sich selbst gegründet ist, sondern über sich hinausweist. Ist die Welt alles, so ist keine Transzendenz. Ist aber Transzendenz, so liegt im Weltsein ein möglicher Zeiger auf sie.

b) Das Sein, das wir sind. – Die Weisen, in denen wir unseres Seins bewußt werden, sind folgende:

aa) Wir sind Dasein: Wir leben in einer Umwelt, wie alles Lebendige. Das Umgreifende dieses Lebendigseins wird der Erforschung Gegenstand in seinen Erscheinungen, in den Hervorbringungen des Lebens, in der Leibesgestalt, in den physiologischen Funktionen, im erblich begründeten Formbildungszusammenhang, in psychologischen Erlebnissen, in Verhaltungsweisen, in Umweltstrukturen. Dazu bringt der Mensch, und nur er, Sprachen, Werkzeuge, Gebilde, Taten bringt er sich selber gegenständlich hervor. Alles Leben außer dem des Menschen ist nur Dasein in seiner Umwelt. Das Dasein des Menschen dagegen hat die Fülle seiner Erscheinung dadurch, daß die folgenden Weisen des Umgreifenden in es eintreten, entweder von ihm getragen oder in seinen Dienst gezwungen werden.

bb) Wir sind Bewußtsein überhaupt in der Spaltung von Subjekt und Objekt. Nur was in dieses Bewußtsein tritt, ist Sein für uns. Wir sind das umgreifende Bewußtsein, in dem alles, was ist, in den Formen der Gegenständlichkeit gemeint, gewußt, erkannt werden kann. Wir durchbrechen unsere bloße Umwelt zur Idee der Welt, der alle Umwelten angehören, ja wir denken über die Welt hinaus und können sie im Gedanken, als ob sie nichts sei, verschwinden lassen.

cc) Wir sind Geist: Geistiges Leben ist Leben der Ideen. Die Ideen – z. B. die praktischen Ideen von Berufen und Aufgaben unserer Verwirklichung, die theoretischen Ideen von Welt, Seele, Leben usw. – führen uns, und zwar als Antriebe in uns, als Zug der in der Sache liegenden Sinntotalität, als systematische Methode des Eindringens, des Aneignens und des Verwirklichens. Sie sind kein Gegenstand, aber erscheinen in Schematen und Gestalten. Sie sind wirksam gegenwärtig und zugleich unendliche Aufgabe.

Diese drei Weisen des Umgreifenden – Dasein, Bewußtsein überhaupt, Geist – sind die Weisen, in denen wir Welt sind; d. h. in der Objektivierung dieses Umgreifenden zu einem Gegenständlichen erscheinen wir empirisch in adäquater Weise als Gegenstand der biologischen und psychologischen, der soziologischen und geisteswissenschaftlichen Forschung. Aber damit ist unser Sein nicht erschöpft.

dd) Wir sind mögliche Existenz: Wir leben aus einem Ursprung, der über das empirisch objektiv werdende Dasein, über Bewußtsein überhaupt und Geist hinaus liegt. Dieses unser Wesen gibt sich kund: 1. in dem Ungenügen, das der Mensch an sich erfährt, denn es ist in ihm eine ständige Unangemessenheit zu seinem Dasein, seinem Wissen, seiner geistigen Welt; 2. in dem Unbedingten, dem als seinen eigentlichen Selbstsein sein Dasein sich unterwirft, oder als dem, was zu ihm verständlich und gültig gesagt ist; 3. in dem unablässigen Drang zum Einen; denn der Mensch ist nicht zufrieden in einer Weise des Umgreifenden für sich, nicht in allen zusammen, sondern er drängt auf die Einheit im Grunde, die allein das Sein und die Ewigkeit ist; 4. in dem Bewußtsein einer unfaßlichen Erinnerung, als ob er eine Mitwissenschaft mit der Schöpfung (Schelling) habe, oder als ob er sich erinnern könnte an Geschautes vor allem Weltsein (Plato); 5. in dem Bewußtsein der Unsterblichkeit, die nicht ein Fortleben in anderer Gestalt ist, sondern ein zeittilgendes Geborgensein in der Ewigkeit, ihm erscheinend als Weg unablässigen Fortwirkens in der Zeit.-

Das Umgreifende, das ich bin, ist in jeder Gestalt eine Polarität von Subjekt und Objekt;
Ich bin als Dasein: Inwelt und Umwelt,
als Bewußtsein überhaupt: Bewußtsein und Gegenstand,
als Geist: die Idee in mir und die aus den Dingen entgegenkommende objektive Idee,
als Existenz: Existenz und Transzendenz.

Das Umgreifende, das ich bin, umgreift gleichsam das Umgreifende, das das Sein selber ist, und wird zugleich von diesem umgriffen. Dieses Sein heißt »Welt« in den ersten drei Polaritäten und ist hier als Umwelt, als Gegenständlichkeit des Wißbaren, als Idee. Es heißt in der vierten Polarität »Transzendenz«.“

(Der philosophische Glaube, Aufl. München 1948, S. 16-19)

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