Notizen zu Martin Heidegger

Jaspers hatte Heidegger im Frühjahr 1920 anlässlich eines Besuchs bei dessen Lehrer Edmund Husserl in Freiburg kennengelernt und stand mit ihm bis Mai 1933 insofern in engerem Kontakt als Heidegger ihn in Heidelberg auf der Durchreise in andere deutsche Universitätsstädte häufig besuchte und in seinem Haus übernachtete. Sie waren sich in dieser Zeit in der „Opposition gegen die traditionelle Professorenphilosophie“ einig, erlebten gemeinsam die „Ergriffenheit von Kierkegaard“ und sahen ihre Aufgabe in einer „Erneuerung ... der damals an den Universitäten vorgefundenen Gestalt der Philosophie“ (Philosophische Autobiographie, 1977, 94). Der persönliche Kontakt brach im Jahr 1933 mit dem politischen Engagement Heideggers für den Nationalsozialismus jäh ab.

(Zu Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus sind bereits vor 2000 verschiedene aufschlussreiche Bücher erschienen: Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht. Stuttgart 1986; Hugo Ott, Martin Heidegger: unterwegs zu seiner Biographie. Frankfurt/New York 1988; Victor Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus. Frankfurt 1989; sowie die Neuauflage des 1965 erschienenen und in der Heidegger-Diskussion weitgehend totgeschwiegenen Buchs von Alexander Schwan, Politische Philosophie im Denken Heideggers, 2., um einen ‚Nachtrag 1988‘ erweiterte Auflage. Opladen 1989. Nach der Veröffentlichung der sogenannten schwarzen Hefte, Martin Heidegger: «Schwarze Hefte», 1931 bis 1941, Heidegger-Gesamtausgabe, Bände 94 bis 96. Vittorio Klostermann, 2014, besteht kein Zweifel mehr über die Affinität Heideggers zu nationalsozialistischem Denken, vgl. etwa Peter Trawny: Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, Vittorio Klostermann, 2014.)

Nach dem Ende des Nazi-Regimes wurde der Kontakt nicht mehr neu aufgenommen. Trotz Abbruchs des persönlichen Kontakts hat sich Jaspers mit der Persönlichkeit Heideggers und seiner philosophischen Denkungsart sein ganzes Leben lang immer wieder geistig auseinandergesetzt. Wie zwiespältig Jaspers in seiner Einschätzung Heideggers oftmals war, zeigt folgende Passage aus einem Gutachten, um das er Ende 1945 im Zusammenhang mit der Entscheidung der Frage gebeten worden war, ob Heidegger seine Lehrtätigkeit an der Universität Freiburg wieder aufnehmen dürfte: „Heidegger ist eine bedeutende Potenz, nicht durch den Gehalt einer philosophischen Weltanschauung, aber in der Handhabung spekulativer Werkzeuge. Er hat ein philosophisches Organ, dessen Wahrnehmungen interessant sind, obgleich er m.E. ungewöhnlich kritiklos ist und der eigentlichen Wissenschaft fern steht. Er wirkt manchmal, als ob sich der Ernst eines Nihilismus verbände mit der Mystagogie eines Zauberers. Im Strom seiner Sprachlichkeit vermag er gelegentlich den Nerv des Philosophierens auf eine verborgene und großartige Weise zu treffen. Hier ist er unter den zeitgenössischen Philosophen in Deutschland, soweit ich sehe, vielleicht der einzige. Daher ist dringend zu wünschen und zu fordern, dass er in der Lage bleibe, zu arbeiten und zu schreiben, was er vermag“ (zitiert nach: H. Ott, a.a.O., 316). Nichtsdestoweniger rät Jaspers in diesem Gutachten, Heidegger für einige Jahre vom Lehramt auszuschliessen und die „heute innerlich fast widerstandslose Jugend“ nicht seiner „Lehrwirkung“ auszusetzen, bevor in Heidegger nicht eine „echte Wiedergeburt“ erfolgt sei, die auch in seinem Werk sichtbar sein müsse. Denn „Heideggers Denkungsart, die mir in ihrem Wesen nach unfrei, diktatorisch, communikationslos erscheint, wäre heute in der Lehrwirkung verhängnisvoll“ (ebd.). Als sich die Wiedereinsetzung Heideggers in alle akademischen Rechte in den späteren Jahren verzögerte, sprach sich Jaspers jedoch mehrmals öffentlich für Heidegger aus; dieser durfte dann im Wintersemester 1950/51 wieder offiziell seine Lehrtätigkeit aufnehmen.

Im umfangreichen Nachlass von Jaspers fanden sich an die 300 Blätter mit Notizen, die Jaspers zwischen den Jahren 1928 und 1964 über Heidegger geschrieben hat. Hans Saner, der letzte persönliche Assistent von Jaspers und damals Verwalter des Karl-Jaspers-Archivs in Basel, hat diese Notizen erstmals 1978 in Buchform veröffentlicht. Sie geben oft nur fragmentarisch und andeutungsweise den Eindruck wieder, den Heidegger als Person und sein Philosophieren auf Jaspers gemacht haben. Informativ sind sie nicht zuletzt insofern als sie ein tiefes Misstrauen widerspiegeln; ein Misstrauen, das Jaspers auf dem Hintergrund seiner liberal-aufklärerischen Schulung an Immanuel Kant und Max Weber gegenüber einem Philosophieren haben musste, das im Duktus einer Heilsprophetie und mit ästhetisch durchaus ansprechenden suggestiven Wortschöpfungen eine letztlich im Numinosen bleibende Seinsgeschichte beschwört.

Zitate aus:
Karl Jaspers: Notizen zu Martin Heidegger, hg. von Hans Saner, München 1989.

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